Geist

Stefan Kraft; Gepäck LI, 2003; Öl und Aquarellstift auf Leinwand, 55 x 75 cm; © Stefan Kraft / VG Bild-Kunst, Bonn

Stefan Kraft; Gepäck LI, 2003; Öl und Aquarellstift auf Leinwand, 55 x 75 cm; © Stefan Kraft / VG Bild-Kunst, Bonn

Auszug aus der Predigt von Pfarrer Roland Wicher am Pfingstsonntag, 4. Juni 2017, in der Giesensdorfer Dorfkirche

Geist. Der Taufvers, den wir heute gehört haben, spricht davon. Dieses Gemälde von Stefan Kraft spricht davon. In der Petruskirche sind seine Bilder noch etwa zwei Wochen zu sehen. Ich freue mich, Ihnen hier in der Dorfkirche ein Bild zeigen zu können, das dort nicht ausgestellt ist.

Das Bild gehört in eine Reihe mit dem Titel Gepäck. Oft zeigen die Bilder Menschen mit Gepäckstücken. Hier ist es ein Mann, umgeben von Kisten – wie Umzugskisten vielleicht. Diese Kisten: Vielleicht schweben sie. Vielleicht sind sie locker im Raum verteilt. Der Mann, der sie anblickt, hat ihre Farbe. Blau. Himmelblau, sagt man. Es scheint fast, als sei er wie ausgeschnitten, ein Scherenschnitt. Dann ist er vielleicht nicht mehr da; nur seine Spur, sein Umriss, wie mit Bleistift, wie ein Schatten.

Aber er hat in sich auch viel von diesem rosafarbenen Raum, auch Rot, hier: einen roten Fleck, nicht weit vom Herzen. Er wirkt lebendig, ruhig. Er spricht uns an, weil wir Menschen sehen, wenn wir so einen Umriss sehen, einen Klecks in der Form eines Menschen oder eine Spur auf einer Wand, die ausieht wie ein Mensch, ein Gesicht. Wir suchen Menschen, wir suchen uns in der Welt. Wir fragen uns, was fühlt dieser Mensch, was ist mit dem.

Der Raum, in dem der Mensch steht – oder der durchsichtig ist da, wo der Mensch zu sehen ist; eine Öffnung in einen Raum dahinter vielleicht –: Dieser Raum ist rosa, und auch in den Kisten ist Farbe; Blau, mit orangen, roten, gelben Einsprengseln, und ein helles Graubraun; Wolkenfarbe oder Erdenton, schwerer als Blau allemal. Und Rosa, eine Blütenfarbe; eine Farbe, die an Haut, an Leben, an menschliche Nähe erinnern kann. Es enthält das Rot, die Farbe der Wärme, des Blutes und des Lebens, des Feuers, das rot, gelb, orange flackert.

An Pfingsten ist die Altardecke rot. Rot ist die Farbe des heiligen Geistes. Er ist Lebenskraft und treibt uns an. Dieses Rosa, es fließt, fließt hinab, flüssige Farbe – wir können uns das vorstellen, wie jemand das Bild gemalt hat, die Lebendigkeit des Malens. Eine Farbe, die auf die Erde gehört, zu uns als Menschen. Es kann, sagen wir es ruhig, auch eine Farbe der Liebe sein, die die Welt einfärbt, in Blütentönen erscheint die Welt. Ob man heute noch sagen muss, es ist eine weibliche Farbe? Vermutlich nicht, aber sanft ist sie. So, wie wir sie hier sehen: ruhig. Eine menschliche Farbe.

Das Blau des Himmels, das Blau der Gedanken – es ist eine Farbe der Ferne, des Nachdenkens. Gepäck, so heißt das Bild. Stefan Kraft denkt nach über das, was wir mitnehmen, was uns ausmacht. Was uns umgibt. Dinge – sie enthalten Erinnerungen, Bedeutungen; etwas, das uns wichtig ist. Manchmal auch Schweres. Auf dem Dachboden, im Keller, beim Umzug: Kisten voller Vergangenheit und Zukunft. Kisten in der Farbe des Himmels, wie hier. Rätselhafte Kisten voller Gedanken und Schätze, innerer Dinge. Welche sind dies? Welche Himmelskisten hast Du bei Dir?

Der himmelblaue Mensch, von dem man nicht genau weiß, ist er da oder ist er eine Öffnung in einen blauen Raum dahinter… All das regt mich an zum Nachdenken, und ich fühle mich belebt von Gelb, Orange, Blütenrosa. Das Blau verspricht mir Weite und Bewegung. Eine Farbe der sichtbaren Welt, eine Farbe menschlichen Lebens – wie Pfingstrosen – ist Rosa. Eine Farbe des Himmels und des Glaubens, der unsichtbaren Welt Gottes, ist Blau. Gott und Mensch kommen zusammen – in mir. Rosa in Blau, Blau in Rosa, Rot, Orange. So kann das Bild für mich zum Pfingstbild werden. Ein Bild voll Geist und Menschlichkeit, voll Leben und Gedanken, das mich anregt zu fragen, wer ich bin; wer Du bist. Dann sehen wir einander wie das Kind den Erwachsenen, und der blickt zurück, wie der ältere Mensch den jüngeren ansieht, und dieser blickt zurück; ruhig, und auch ein bisschen staunend, über das Wunder, das da einer ist. Ein hellblaues, himmlisches Staunen, wie Gott in uns. Eine pfingstrosenfarbene, lebhaft-rosafarbene Freude.

Gott in uns, in uns Menschen aus Fleisch und Blut, und wir in ihm. Das ist Geist.